Haben Sie schon einmal ein Buch in der Hand gehabt, das Ihnen mehrere Cover anbietet? Oder besser noch: Sie einlädt, ein eigenes Cover zu kreieren? Und da fällt schon DAS Stichwort für die Kennzeichnung dieses außergewöhnlichen und – das sei gleich vorweg geschrieben – empfehlenswerten Buches: Kreativität.

Außergewöhnlich nicht nur wegen der Cover (dazu am Ende noch mehr). Außergewöhnlich auch wegen der Autor*innen. Sie kommen aus der Kreativitätsszene, weltweit. Die Stuttgarter Agentur Sommer + Sommer hat sich beginnend vor rund zehn Jahren intensiv mit der Frage auseinandergesetzt: Wie bringt man Kreativität ins Bildungsystem? Dazu haben Leonard Sommer und die Berlin School of Creative Leadership mehr als 100 Kreative und Vordenker in 35 Ländern befragt. Das Ziel: Inspirationen für neue Rahmenbedingungen an Schulen im 21. Jahrhundert zu liefern. Dazu gehört das Projekt “Classroom Think Tank“. Sommer: Mit dem Projekt ‘Classroom Think Tank’ wollen wir interessante Inspirationen von Persönlichkeiten aus der Kreativwirtschaft sammeln und überprüfen, wie sie auch in der Schule zum Einsatz kommen könnten.

In einem Workshop wurden Ideen gesucht, die Lernumgebungen schaffen, in der Kreativität gedeihen kann; Wege aufzeigen, die angeborene Neugier aller Lernenden in Lerneifer umsetzen und sie zum Entdecken einladen helfen. Wie eine neue Lehrkultur und ein neues Lehrerbild dazu beitragen können, waren ebenfalls Gegenstand des Workshops. Es wurden mehrere Gruppen gebildet, in denen eine Vielzahl von Ideenansätzen diskutiert wurden. Die Zusammenfassungen deuten die Zielrichtungen der publizierten Impulse an: [1]WENN SCHULE AUF IDEEN BRINGT, S. 42 ff. https://www.wenn-schule-auf-ideen-bringt.de/

Gruppe 1: Perspektive Lehrende

Wir sind uns alle einig: Solange ein Kind noch Kind sein darf, ist es kreativ. Sobald es aber das System durchlaufen hat, wird es weniger kreativ sein. Wir sollten also auf uns selbst hören: Jeder von uns hat ein Kind in sich, und wir sollten die Möglichkeit schaffen, auf diese innere Kinderstimme zu hören. Lasst uns albern sein, lasst uns auf dem Spielplatz spielen, lasst uns malen wie Kinder – und zwar regelmäßig. Es wird hoffentlich dazu beitragen, das Kind in uns zum Leuchten zu bringen – selbst dann, wenn wir erwachsen geworden sind.

Wir haben diskutiert, wie Kreativität in Schulen gefördert werden kann. Zufälligerweise sind alle Mitstreiter in dieser Gruppe Lehrer. Einer der Aspekte ist sicher, dass es in der Schule klare Beschränkungen durch den Lehrplan gibt; man folgt dann eben den Standards. Das ist unserer Meinung nach das Hauptproblem: Es macht Schule weniger kreativ. Unsere Lösung für kreativere Schulen sind kontinuierliche Coachings für Lehrer, die in einem kreativen Umfeld außerhalb der Schule durchgeführt werden – in einer Kreativ-Agentur, einer Plattenfirma, einer Medienproduktion usw. So könnten sich Lehrer mitunter als Teil der Kreativbranche fühlen und dies regelmäßig immer wieder erleben.“

Gruppe 2: Kritisches Denken

Unsere Gruppe hat zwei wichtige Punkte herausgearbeitet. Einer davon ist, dass es in der Schule zwar darum geht, eine Lösung für ein Problem zu finden, aber es wird nie gelehrt, das Problem richtig zu verstehen. Deshalb sollte schon für die jüngeren Jahrgänge in den Lehrplan mit aufgenommen werden, dass Kinder das Problem selbst finden und die kreative Fähigkeit der Problemdefinition entwickeln: Schüler(*innen) müssen lernen, wie ein Problem nach der Identifizierung auf verschiedene Weise kreativ gelöst werden kann. Es könnte also Teil des Lehrplans werden, dass es nicht für jedes Problem eine Standardlösung gibt, sondern dass man ein Problem auf verschiedenste Arten lösen kann.

Gruppe 3: Fehlerkultur, Projektarbeit

Die erste Idee, die wie hatten, war: ,Warum führen wir nicht eine Belohnung für Fehler ein, um Kinder zu ermutigen, Fehler zu machen oder weiterhin demgegenüber offen zu sein?’. Als Kreative haben wir gelernt, dass Fehler zu machen etwas ist, das – anders als richtige Antworten zu belohnen – unserer Kreativ- und Innovationsindustrie wirklich hilft. Ergänzend haben wir folgende Frage diskutiert: ,Wie wäre es, wenn die Klassen nicht nach dem Alter der Schüler, sondern nach dem Entwicklungsstand bestimmter Fähigkeiten eingeteilt würden?’. Sie würden zwar in Klassen mit unterschiedlichen Altern eingeteilt, aber es wäre fördernder.

Außerdem haben wir über Co-Kreation gesprochen. Warum sollten Kinder nicht gemeinsam an Projekten arbeiten, auf die sie wirklich Lust haben, und sich dazu zusammenschließen? Wir sollten dabei den Kindern mehr Zeit geben. Zudem könnten wir kreative Köpfe aus der Musik- und Filmindustrie usw. in die Klassenzimmer einladen. Unserer Meinung nach wäre es interessant, Diskussionen und Interaktionen zwischen Kindern zu fördern, so dass der Lehrer mehr zum Moderator wird, anstatt zum Frontal-Sprecher.

Die letzte Idee war, dass wir einen Weg finden sollten, den Lehrern mehr Zeit zu geben, um ein besseres individuelles Profil der Kinder zu erstellen und zu verstehen, worin sie wirklich gut sind.

Gruppe 4: Elterneinbindung

Im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang ist es wichtig, dass Kreativität auch zu Hause in den Mittelpunkt gestellt wird. Eltern von heute verbringen oft die meiste Zeit mit den eigenen Kindern. Unserer Meinung nach sind daher nicht nur die Lehrer dafür verantwortlich – auch die Eltern sollten lernen, wie sie eine kreative Umgebung im Zuhause schaffen können. Wir müssen einen Weg finden, der die Eltern einbezieht. Nur so können wir sicherstellen, dass das, was in der Schule angestoßen wurde, auch zu Hause weitergeführt wird.

Gruppe 5: Notengebung

Hallo, wir haben in unserer Gruppe Leute aus Weißrussland, Dänemark, Deutschland und Schweden. Und worüber haben wir in unserer Gruppe gesprochen? Das Problem der Zensuren. Wenn wir schon Noten haben, dann sollten sie für Kreativität, Teamarbeit, Fehler machen, Fragen stellen usw. vergeben werden. Damit jeder schon in jungen Jahren kreativ sein kann – und dafür belohnt wird. Ich denke, man sollte dies daher in die Notengebung einfließen lassen. Wovon wir es auch hatten: Misserfolge feiern, sie belohnen. Wir würden uns mehr Aufgaben wünschen, die nicht nur eine einzige richtige Antwort kennen. Man würde in der Schule demnach in Workshops arbeiten und beim gemeinsamen Lernen erkennen, welche verschiedenen Möglichkeiten es gibt, um ein Problem zu lösen.

Alle Lehrer müssten in puncto Kreativität stets auf den neuesten Stand gebracht werden. Und ich denke, man sollte hier Methoden von Unternehmen der Kreativbranche in den Unterricht übernehmen.

Gruppe 6: Game based learning

Unser Team kommt aus Deutschland, Guatemala, Rumänien und den USA. Wir waren der Meinung, dass spielerisches Lernen ein großartiger Weg wäre, um die Kreativität im Klassenzimmer zu fördern und das Lernen der Zukunft zu verbessern – sowohl auf Schüler- als auch auf Lehrerseite. Wie wir alle wissen, hat sich das Alter der Gamer mittlerweile schon auf bis zu 60 Jahre erhöht, und es gibt genauso viele Frauen wie Männer darunter. Wir glauben, dass die Schaffung neuer spielebasierter Bildungsinhalte die Kinder ähnlich fesseln wird wie Computer Games. Wir denken, dass diese Art des Lernens den Schülern auch helfen würde, belastbarer zu sein, weil sie keine Angst vor Fehlern oder Misserfolgen produziert. Wer spielt, wird es weiter versuchen, bis er den nächsten Level erreicht. Es geht um Durchhaltevermögen, darum, wie sehr Du bereit bist, es weiter zu versuchen und nicht aufzugeben. Ich denke, das ist eine Sache, die einem Spiel generell zugrunde liegt. Wer verliert, kommt zurück und versucht es wieder und wieder, bis er die nächste Stufe erreicht hat. Was haltet ihr davon, wenn wir den Lehrern Spiele beibringen und den Schülern die Möglichkeit geben würden, kreativ zu sein und ihre eigenen Spiele zu entwickeln? Letztlich wird das Lernen so zu einer Gruppenarbeit und der Schüler lernt, dass Probleme in einer realen Welt oft nur als Team lösbar sind.

Wir haben zudem darüber diskutiert, führende Persönlichkeiten aus der Kreativ- oder Spieleindustrie in Schulen einzuladen, damit sie ihre Herangehensweisen mit den Schülern teilen und ihnen so die Möglichkeit geben, von ihnen zu lernen. Durch die Nutzung von Videokonferenzen wäre dies auch problemlos skalierbar.

Mit den gesammelten Visionen will Sommer gemeinsam mit der Werbebranche für einen „Wandel des maroden Bildungssystems“ sorgen und „die Unterdrückung von Kreativität im Schulunterricht stoppen“. Sommer & Expert*innen blicken dabei über den Branchentellerrand. „Unsere Schulen sind nicht darauf vorbereitet, die nächste Generation heranzubilden. Das kreative Potenzial jedes Einzelnen zu entwickeln wird immer wichtiger. Kreativität ist wesentlicher Wertschöpfungsfaktor innerhalb der neuen Wirtschaftsformen des Innovationszeitalters“.

Mit dem o. g. Buch  liegen die Ergebnisse des “Classroom Think Tank” vor. Es handelt sich um eine Ideensammlung, wie die Schule von morgen besser auf die Schüler*innen eingehen und sie auf die Herausforderungen vorbereiten können. Das deuten die folgenden Zitate der Workshopteilenhmer*innen an [2]https://www.wuv.de/Archiv/Keine-Angst,-keine-Noten-Kreative-planen-die-Schule-von-morgen:

     

    • Ich würde mehr Leerzeiten in den Stundenplan einbauen. Dann bliebe Zeit für Spielen, Denken und Langeweile.
    • Wir müssen die Uhren loswerden. Einige Kinder sind eher fertig, die könnten doch dann gleich in die nächste Schulstunde gehen. Andere brauchen mehr Zeit, die müssen wir doch nicht unter Druck setzen, damit sie rechtzeitig fertig werden. Die Schulklassen brauchen mehr zeitliche Flexibilität, um der Kreativität Raum zu geben.
    • Lehrer sollten die Rolle von ‘Talent Coaches’ übernehmen und Vermittler in einer Kultur kreativen Lernens werden.
    • Anstatt Fakten und Theorien in die Köpfe der Schüler zu stopfen, sollten Lehrer sie herausfordern, kreative Lösungen für tatsächliche Probleme zu finden, Kinder kreativ anregen. Eigentlich müsste es wie in Agenturen sein: Da bedeutet kreative Stimulation, die Mitarbeiter mit abseitigem Denken und unkonventionellen Denkern zu konfrontieren – so sollte das auch in Schulen ablaufen.
    • Entwickelt ein “Change Framework”, ein Strategiemodell zur Förderung des kreativen Denkens an weiterführenden Schulen. Dieses stützt sich auf fünf Säulen, die mit Ideen von Kreativen aus der ganzen Welt gefüllt sind: Organisationsdesign, Lernkultur, Lehrerkompetenzen, Lehrmethoden und Bewertungssystem. Stellt euch eine Schule vor, an der kein Abschluss von Lehrern vergeben wird. Stellt euch Schüler vor, die sich selbst bewerten und begründen müssen, warum sie sich mit einem Abschluss belohnen …
    • Entwickelt ein “Lern-Ressourcen-Modell”. Es dient der Organisation der Schule der Zukunft: Die Schulstunden werden konsequent strukturiert, und zwar in 50 Prozent zur reinen Wissensvermittlung, 30 Prozent für konkrete Projektarbeit und 20 Prozent für die Förderung individueller Talente. Das eine Kind will tanzen, das andere malen, das dritte interessiert sich für Technik. Sie alle sollen sich in diesen Bereichen verwirklichen dürfen und individuell gefördert werden. Speziell bei diesem Ansatz könnten die Ganztagsschulen eine wichtige Rolle übernehmen und den Kindern auf der Suche nach ihren Vorlieben freie Wahl lassen.

     

    Eine Bewertung einzelner Beiträge verbietet sich. Manche Ideen werden den Kommentar auslösen: WOW. Andere: Das geht gar nicht. Haben wir noch nie so gemacht. Und doch: Im Hessischen Referenzrahmen Schulqualität wird ausdrücklich auf externe Kooperationspartner*innen verwiesen. So heißt es in der Dimension Schulkultur [3]https://sts-ghrf-ruesselsheim.bildung.hessen.de/recht/hrs-hessischer-referenzrahmen-schulqualitat.pdf:

    Ein erweitertes Angebot ermöglicht ein kulturell anregendes Schulleben. In Zusammenarbeit mit Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern und / oder externen Fachleuten werden zusätzliche
    Angebote für Schülerinnen und Schüler zusammengestellt.
     
    Um Kompetenzen aufzubauen, sind konkrete Anwendungs- und Handlungssituationen im Lehr- Lernprozess vorgesehen. Die Themen und Inhalte werden für die Schülerinnen und Schüler authentisch, interessant, relevant sowie mehrperspektivisch gestaltet und ermöglichen den Transfer auf andere Sachverhalte. Vielfache Zugänge werden für die Anwendung genutzt (zum Beispiel visuelle, auditive, ästhetische, motorische, haptische).
     
    Außerschulische Lernorte werden verlässlich als anwendungsorientierte, authentische Lernkontexte in den Regelunterricht integriert (zum Beispiel Betriebe, historische Gebäude, Museen, Biotope). Die regelmäßige Einbindung externer Expertinnen und Experten ist im Lehr-Lernprozess verankert.

    Mit den Werbetreibenden erschließt sich eine Expertise, die einen völlig neuen Blick auf Unterrichtsszenarien ermöglichen kann, mit Impulsen, die dem 4K-Modell (Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken und Kommunikation) zugeordnet werden können. So auch die AR-Coveridee, die im Ergebnis unterschiedlichste Titelseiten liefert. Hier eine Auswahl:

    Sie können sich selbst beteiligen und Ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Buch und weitere Informationen finden sich hier: Wenn Schule auf Ideen bringt

    Das Buch unterliegt keiner Buchpreisbindung, daher auch die unterschiedlichen Kostenansätze. Ich habe die Rezension anhand des E-Books vorgenommen. Haptisch und reflektierend hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle die Sonderedition gewünscht, kann man hier schneller hin und her Blättern und hat man vermutlich auch einen besseren Ein- und Überblick.

    … Stay tuned …

    Bildnachweis: Ausschnitt aus Titelbild der Sonderedition

    References

    References
    1 WENN SCHULE AUF IDEEN BRINGT, S. 42 ff. https://www.wenn-schule-auf-ideen-bringt.de/
    2 https://www.wuv.de/Archiv/Keine-Angst,-keine-Noten-Kreative-planen-die-Schule-von-morgen
    3 https://sts-ghrf-ruesselsheim.bildung.hessen.de/recht/hrs-hessischer-referenzrahmen-schulqualitat.pdf