Aufgrund dieser Erfahrungen und erfolgreichen Arbeit wurde das Konzept bundesweit (!) auf die Primarstufe übertragen. Zu den Erfahrungen aus dieser Arbeit liegt, wie eingangs erwähnt, eine empirische Arbeit vor. Aus ihr stelle ich nun die folgenden Ergebnisse vor, aus der einige (tentative) Empfehlungen und Hinweise ableiten (lassen), um Akzeptanz, Übernahme, Angemessenheit und Machbarkeit von Maßnahmen zu erhöhen:
- Akzeptanz: Akteurinnen und Akteure in den von uns untersuchten Maßnahmen waren Lehrkräfte im Beruf. Damit sie ihren Unterricht im laufenden Betrieb weiterentwickeln konnten, erhielten sie inhaltliche Angebote, die sie für relevant hielten und die sie fachlich und beruflich weiterbrachten. Mit den Zielen der Maßnahmen stimmten die Befragten überein. Die Fortbildungen überzeugten sie durch hohe Qualität, ohne zu überfordern. Die Themen des Programms hatten einen erkennbaren Bezug zum Unterricht und dem eigenen Handeln. Fachlich kompetente Koordinierungspersonen unterstützen sie, sodass sie nicht auf sich allein gestellt waren.
- Übernahme: Die Übernahme des Neuen in die eigene Praxis erfordert die Reflexion des eigenen Tuns und den bewussten Entschluss, etwas konkret zu ändern. Beides wurde in dem von uns untersuchten Programm bewusst thematisiert und angestoßen. Neben der Vermittlung neuer Inhalte und Methoden erhielten die Lehrkräfte Hilfestellung und geschützte Räume für die Entwicklung anderer Konzepte und deren iterativer Erprobung. Die Erfahrung, sich weiterzuentwickeln und von dieser Entwicklung zu profitieren, erwies sich als wichtig.
- Angemessenheit: Damit Maßnahmen umgesetzt werden können, müssen sie zu den Akteurinnen und Akteuren, zu ihrem (beruflichen) Umfeld, zur Institution oder dem sozialen Gefüge und zur gesellschaftlichen Situation passen. Diese Passung untersuchten wir nicht nur in den beiden hier berichteten Studien, sondern mithilfe anderer For- mate (Abfragen auf Fortbildungstagungen, jährliche Berichte aus den Bundesländern) in kürzeren Abständen. Daraus leiteten wir Handlungsempfehlungen für die Steuerung des Programms ab. Diese erwiesen sich als wichtig, um die Maßnahme besser an die Gegebenheiten anzupassen.
- Machbarkeit: Maßnahmen mögen angemessen sein, lassen sich aber wegen ihrer mangelnden Machbarkeit nicht umsetzen. So verhielt es sich mit der hier als Beispiel gewählten kollegialen Zusammenarbeit. In der Mehrzahl der Fälle war sie machbar. Sie brauchte aber besondere Unterstützung durch das Erlernen von Techniken der Gesprächsführung, des Konfliktmanagements, der Aushandlung von Kompromissen und der sachbezogenen Kommunikation. Außerdem halfen die Koordinierungspersonen vor Ort, dass die Gruppen zustande kamen, ihre Arbeitsschwerpunkte fanden und diese zielgerichtet verfolgten.[efn_note]https://www.researchgate.net/publication/329279350_Empirische_Arbeit_Implementation_eines_Ansatzes_zur_Weiterentwicklung_des_mathematischen_und_naturwissenschaftlichen_Unterricht_Erfahrungen_aus_dem_Programm_SINUS_an_Grundschulen[/efn_note]
Für einen Transfer auf die aktuelle Fortbildungssituation schlage ich eine dreijährige Fortbildungsinitiative vor. Im ersten Jahr werden fachspezifische Fragestellungen aufgegriffen und Lösungen in der eigenen Unterrichtssituation ausprobiert. Im zweiten Projektjahr geht es dann um fächerübergreifende Aspekte, die z. B. in Projektunterrichtsformaten wie Deeper Learning münden können. Das erste wie zweite Fortbildungsjahr wird bezüglich Modulgestaltung schulspezifisch organisiert, da die Voraussetzungen bei den beteiligten Schulen in der Region zu unterschiedlich sein dürften. Durch Schulmessen (Regionalkonferenzen) wird der Austausch untereinander sichergestellt. Das dritte Fortbildungsjahr dient der Konsolidierung und der Verständigung auf die schuleigenen Curricula.
Darüber hinaus ist denkbar, dass die regionalen Medienzentren die Koordination übernehmen, z. B. durch einen Kooperationsvertrag zwischen Kultusministerium und Kommune. Das schließt bis heute den Bereich Fortbildung noch nicht ein. Ist naheliegend, wie man am Beispiel Wetteraukreis nachvollziehen kann:
- Der Bereich Schul-IT und Medienzentrum ist für die schulische IT-Infrastruktur und Ausstattung an den Schulen des Wetteraukreises verantwortlich. Dabei fungiert er als Schnittstelle zu etwa 4.000 Lehrkräften – die wiederum an fast einhundert Standorten mit jeweils mindestens zwei Netzwerken arbeiten.
- Der Bereich Schul-IT und Medienzentrum beschafft alle schulischen Endgeräte und sichert deren Betrieb. Das betrifft beispielweise Computer, iPads, Drucker oder interaktive Schultafeln.
- Das Medienzentrum stellt auch Medien für den Unterricht bereit, betreut das Lernmanagementsystem wtkedu und erstellt im Fünf-Jahres-Rhythmus den schulischen Medienentwicklungsplan.
Als Kommunikationsplattform ist eine eigene Mastodoninstanz denkbar. Das befördert zudem die informatische Kompetenzförderung im Kontext zu dezentralen Netzwerken und in Abgrenzung zu kommerziellen Anbietern wie Metaverse, Twitter, Instagram, TikTok u.v.m.
Aktuelle Entwicklungen aufgreifen
Und genau hier >>Aufbau einer (regional ausgerichteten) Kommunikationsplattform<< gelingt eine Beschäftigung mit den Erfahrungen rund um ChatGPT. Z. B. durch eine flipped classroom Ansatz, mit ersten Anregungen aus dem Netz (in Auswahl)
Schon an dieser Fragestellung lässt sich nachvollziehen, wie sehr Schulen auf die Expertise von außen angewiesen ist. Es ist nahezu unmöglich, alles im Blick zu behalten. Dann doch lieber vernetzt unter professioneller Anleitung, oder?
Und wie organisert man sich eine Zeitressource?
Dazu die Vorschläge von Prof. Bewyl von der FH NW Schweiz, die er in einem ZEIT Beitrag veröffentlicht hat [efn_note]https://www.zeit.de/2022/16/schulbildung-hattie-studie-lehrkraefte-evaluation-lernerfolg[/efn_note]:
Ich nenne ihn “Dreimal fünf Prozent”:
- Wir senken das Unterrichtsdeputat der Lehrkräfte um fünf Prozent, das setzt bis zu 80 Arbeitsstunden pro Jahr frei für kooperativ-datenbasierte Unterrichtsentwicklung.
- Wir reduzieren die Unterrichtszeit, in der die ganze Klasse mit der Lehrkraft zusammen ist, um fünf Prozent. Die Schüler arbeiten selbstständig – je nach Alter und Fähigkeit in der Schule oder zu Hause. Damit ist die Deputatsreduktion kostenneutral.
- steigt der Schuletat dauerhaft um real fünf Prozent.
Diese Zusatzmittel werden investiert, um bei der circa fünfprozentigen zeitlichen Reduktion der „klassischen Schule“ die Wirksamkeit des Unterrichts zu steigern – und zwar durch Lehr-und Lernmethoden, die sich in Hatties Metastudien als hochwirksam erwiesen haben. Dazu gehören auch videobasierte Instruktionen, die mit schnellen (notenfreien) Tests und effektivem Lernfeedback kombiniert werden. Oder selbstgesteuerte Arbeit in leistungsähnlichen Gruppen, unterstützt durch fortgeschrittene Schüler. So kann erreicht werden, dass die schulischen Leistungen das heutige Niveau übertreffen.
Was in Unternehmen und Hochschulen zunehmend als der Goldstandard effektiven Lernens gilt, kann sich damit auch in Schulen etablieren: Gelernt wird vermehrt selbstgesteuert und im Team. Unterstützt wird dies durch externe Experten wie durch spezialisierte Lehrkräfte: Denkbar wären die Expertin fürs Digitale, der Fachmann für die Evaluation, die Spezialistin für den klassenübergreifenden Fachunterricht. Gemeinsam verantworten die Lehrkräfte, welcher Stoff analog und welcher digital vermittelt wird, wann der Unterricht innerhalb und wann außerhalb des Klassenverbands stattfindet.
All das wird nicht nur die Lernergebnisse verbessern, sondern auch den Lehrerberuf attraktiver machen. So viele Gewinnchancen – wer will da zögern?
Ja, wer eigentlich …